Vielfalt bilden: Eine Frage von Gleichberechtigung und Zeit


Das Video zeigt den Mittschnitt eines Expertinnengesprächs, das am 4. November 2021 an der Kirchlichen Hochschule in Wuppertal unter dem Titel „Bildung gegen Rechts“ stattfand. Vertreterinnen von Wuppertaler Schulen, Hochschulen und Bildungseinrichtungen diskutierten Konzepte und Erfahrungen, wie demokratieförderndes Lehren und Lernen in einer pluralen Gesellschaft auf lokaler Ebene gelingen kann.

Zusammenfassung

Welche Rolle kann Bildung für ein demokratisches Miteinander in der vielfältigen Einwanderungsgesellschaft von Wuppertal spielen? Diese Fragen diskutierten am 4. November 2021 fünf Expertinnen und Experten auf Einladung der Kirchlichen Hochschule (KiHo) im Rahmen der Aktionswoche „Vielfalt bilden“.

Vielfalt bilden braucht viel Zeit. Diese Erkenntnis machte sich gleich zu Anfang der Veranstaltung breit. Denn auf dem Podium stellten sich nicht nur fünf Expertinnen und Experten vor, die sich seit vielen Jahren mit der Frage beschäftigen, wie demokratieförderndes Lehren und Lehren in einer pluralen Gesellschaft wie der von Wuppertal gelingen kann. Sie bildeten auch eine Vielfalt von persönlichen Werdegängen und professionellen Sichtweisen ab, die es erst einmal zu sammeln und dem Publikum zu vermitteln galt, bevor die eigentliche Diskussion begann. Das dauerte, zeigte aber auch, dass es Langmut braucht, nicht nur über Vielfalt zu sprechen, sondern diese Vielfalt auch gleichberechtigt zu Wort kommen zu lassen.

Bildung: Kein Garant für ein demokratisches Wertesystem

Eine weitere Erkenntnis trat während der Diskussion zu Tage. In einer Einwanderungsgesellschaft ist Bildung kein Garant dafür, dass junge Menschen die freiheitlich demokratische Grundordnung als Wertesystem für sich entdecken. Bildung sei oft nicht Teil der Lösung, sondern Teil des Problems, sagte Astrid Messerschmidt, Professorin an der Bergischen Universität Wuppertal. Vor allem Dingen dann, wenn sie die Diversität einer Gesellschaft ignoriere oder gar rassistische Bilder vermittle. Konstanze Kemnitzer, Rektorin der Kirchlichen Hochschule, zog dazu die theologische Parallele. Es brauche eine widerständige Theologie, die die Bibel von diskriminierenden Denkgebäuden befreie und den Studierenden einen guten Radar für die Herausforderungen von heute biete.

In einem Punkt waren sich die Teilnehmenden einig: Deutschland habe die Tatsache, eine Einwanderungsgesellschaft zu sein, viel zu lange verleugnet. Obwohl die ersten „Gastarbeiter“ bereits in den 1950 Jahren nach Deutschland kamen, wurde der erste von der Bundesregierung initiierte Integrationsgipfel erst 2006 ausgerichtet. Es fehle daher an Routinen, mit der vorhandenen Vielfalt umzugehen – angefangen bei dem fehlenden Wahlrecht, das vielen Menschen aufgrund ihrer Herkunft vorenthalten werde, bis hin zur schulischen Bildung, die keine Antworten auf die Herausforderungen einer Einwanderungsgesellschaft finde.

Wie lässt sich das ändern? Am Berufskolleg Barmen Europaschule werden, berichtete Oberstudienrat Wendelin Volk, Kulturcoaches eingesetzt, um bei den Schülerinnen und Schülern unabhängig von ihrer Herkunft alle Fähigkeiten zu mobilisieren, die sie brauchen, um gut und gerne in Deutschland zu leben. Seine Schule firmiert bereits seit 1996 als „Schule ohne Rassismus“ und bildet damit eine seltene Ausnahme in Wuppertal. Gleichzeitig gelte es, rechten Haltungen und Hetze entgegenzuwirken. Diesen Tendenzen müssten die Schulen sich stellen, betonte Volk. Dafür brauche es aber konkrete Hilfestellung für die Kolleginnen und Kollegen.

Sprache: Nicht nur Deutsch erlauben in der Schule

Selly Wane, Gründerin des Swane-Cafes in der Luisenstraße und Dialogmittlerin, warb dafür, die
Prozesse, die die Gesellschaft in Deutschland weiterentwickeln, mit allen Beteiligten auf Augenhöhe auszuhandeln. Fehlende Sprachkenntnisse bei Migrantinnen und Flüchtlingen sei dabei ein ernstes Problem. Sprache diene als Selektionsfaktor, der im deutschen Bildungssystem sehr früh zur Geltung komme, sagte sie. Anders als in der Schweiz, Kanada oder vielen afrikanischen Ländern gebe es hierzulande keine sprachliche Diversität in den Schulen.

Samira Salem, Wissenschaftlerin an der School of Education unterstrich diese Forderung mit Verweis auf aktuelle Studien. Es müssen den Kindern erlaubt sein, in den Schulen neben Deutsch auch andere Sprachen zu sprechen. Nur so könnten sie ihr gesamtes Sprachrepertoire für die eigene Entwicklung nutzen.

Blieb die Frage, wie es gelingen kann, die Vielfalt der Schülerinnen und Schüler in Wuppertal auch unter den Lehrenden abzubilden, also einerseits die Schulen zu mehr Diversität im Kollegium zu bewegen und andererseits die Bereitschaft von Migrantinnen und Migranten zu steigern, den Beruf der Lehrerin oder des Lehrers zu ergreifen. Eine schlüssige Antwort darauf lieferte das Podium nicht, allerdings versprühte es Zuversicht. Salem griff dabei auf ihre Praxiserfahrung zurück. Man sei in Wuppertal auf einem guten Weg. Aber es werde dauern.